Selbstverteidigung und Notwehrrecht
Die Fähigkeit, sich mittels Selbstverteidigungstechniken wehren zu können, bedarf auch des Wissens, welche Rechte mir das Gesetz gibt. Ich muss aber auch wissen, welche Pflichten mir der Gesetzgeber auferlegt.
Zunächst aber beginne ich mit der Grundlage, auf die der §32 StGB bzw. §227 BGB beruhen: Dem Grundgesetz. Unsere "Verfassung" garantiert jedem Bürger unveräußerliche Grundrechte. Diese Grundrechte gehören zu den Rechtsgütern. Zum besseren Verständnis führe ich zwei Grundrechte auf:
- Das Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung
- Das Recht auf die Unversehrtheit des Körpers
Der Bürger hat das uneingeschränkte Recht, nach seinem Gutdünken zu handeln und sich zu verwirklichen. Dieses Recht wird jedoch eingeschränkt, wenn es die Grundrechte der Anderen berührt.
Beispiel: Um mich in meiner Persönlichkeit zu entfalten, möchte ich einen anderen verprügeln. Damit greife ich jedoch massiv in sein Grundrecht der Unversehrtheit ein.
Und hier beginnt die Notwehr: Das Gesetz wägt ab, welches Rechtsgut höher zu bewerten ist. Das Recht auf Handlungsfreiheit oder das Recht auf Leben, Gesundheit und Ehre. Diese Gewichtung nennt man Güterabwägung.
Eine ,,kleine Delle" hat diese Güterabwägung im Familienrecht. Ich dürfte gemäß dieser Güterabwägung mein Kind nicht ,,körperlich maßregeln". Die oben angeführten Grundrechte sind ja gesetzlich garantiert. Dennoch erlaubt mir das Familienrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch die Prügelstrafe. Klar, die Misshandlung ist dabei Körperverletzung, bzw. gefährliche Körperverletzung. Auch die Notwehr hat, im Umkehrschluss betrachtet, eine ,,Delle". Ich beeinträchtige ja genauso sein Recht auf körperliche Unversehrtheit, wie er das meine. Und hier wog der Gesetzgeber zugunsten dessen ab, der rechtswidrig beeinträchtigt wurde. Denn grundsätzlich ist die Anwendung einer Selbstverteidigungstechnik eine Körperverletzung, die jedoch dann nicht strafbar ist, wenn der Angegriffene ein Notwehrrecht für sich reklamieren kann.
Und nun zu dem, auf das die meisten schon gewartet haben: Das eigentliche Recht auf Notwehr §32 StGB 1 §227 BGB
1. Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.
II. Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen rechtswidrigen, gegenwärtigen Angriff von sich oder einer anderen Person abzuwenden.
Lassen wir uns diesen Paragraphen auf der Zunge zergehen:
Wer eine Tat begeht, ... Dies meint keine Straftat, sondern ganz simpel nur, dass jemand ein Vorhaben vollendet.
die durch Notwehr geboten ist ,... Der Begriff ,,Notwehr" wird durch den zweiten Absatz genauer erläutert.
handelt nicht rechtswidrig .... Er (natürlich auch Sie) handelt(n) somit nicht gegen das Gesetz, und macht(en) sich somit auch nicht strafbar.
Notwehr ist
- die Verteidigung... die Gegenwehr,
- die erforderlich ist, . . wenn ich es nicht mehr abwenden kann,
- um einen rechtswidrigen,... gegen das Gesetz
- gegenwärtigen Angriff, . . zeitlich in der Gegenwart, im Jetzt
- von sich.... gemeint ist hier der eigene Körper, Seele, Ehre und Besitz
- oder einer anderen Person... .auch deren Körper, Seele, Ehre und Besitz; der Begriff hierfür ist Nothilfe
- abzuwenden.. .es nicht geschehen zu lassen oder abzumildern.
Dieser Paragraph erlaubt es mir, mich zu den ,,Guten" zu zählen; ich darf mich also wehren. Er schränkt aber genauso das Recht auf Notwehr ein.
Die erforderlich ist...
- Wenn ich eindeutig erkenne, dass ich durch Flucht oder z. B. Ausweichen es vermeiden kann, ist es auch nicht eindeutig erforderlich, mich zu wehren.
- Auch verbirgt sich in diesem unscheinbaren Wort der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ich darf mich gegen eine Beleidigung wehren. Sie ist ein Angriff auf meine Ehre, Psyche, Bekannten- und Familienkreis. Ich darf aber deswegen keinen töten.,, Leichte" Beleidigungen rechtfertigen Mit-nichten eine Ohrfeige. Es gibt aber auch ,,schwere Beleidigungen", bei der ein Fausthieb zum Kopf vor Gericht als gerechtfertigt standhält. Das höchste Rechtsgut, das Leben, darf ich folglich nur bei massiver Gefährdung des eigenen Lebens zerstören.
- Aber: Ich darf als körperlich Schwächerer zu verhältnismäßig härteren Mitteln greifen.
- Aber auch: Personen, die ihren Körper zu einer Waffe ausbilden, z. B. Kampfsportler, müssen besonders vorsichtig sein. Siehe auch Körperverletzung.
Gegenwärtig...
- Der Angriff muss ,,jetzt" passieren. Verteidige ich mich zu früh, begehe ich sehr wahrscheinlich eine Notwehr im Irrtum, eine Putativ-Notwehr. Oder aber ich begehe die Notwehr zwei Wochen später, dann nennt sich das Rache.
- ,,Gegenwärtig" ist eine. sehr schwierige Zeitbestimmung. In einigen Fällen darf ich mich vor dem eigentlichen Angriff wehren. Die ,,drei-sekundenkregel" besagt, dass einer in diesem kurzen Zeitraum unkontrolliert, also im Affekt, handeln kann.
Rechtswidrig...
- Notwehr kann ich auch nur begehen, wenn die Tat rechtswidrig ist.
- Wenn ein Polizist jemanden rechtsgültig verhaftet, dann ist hier keine Notwehr möglich. Ein Liebespaar handelt nicht rechtswidrig, wenn sie sich in der Öffentlichkeit küssen. Nothilfe wäre hier nicht gegeben. Im Gegenteil dazu wäre die Belästigung.
Diese Begriffsbestimmungen sind also präzise - und doch nicht. Im Zweifelsfall wird es einen Kläger, also auch einen Richter geben. Notwehr ist das, was der Richter dafür hält.
Überschreite ich die Verhältnismäßigkeit, so nennt sich das Notwehrexzess. Ich mache mich damit strafbar (StGB). Möglichkeiten hierbei wären Nötigung und Freiheitsberaubung (siehe ,,Jedermannparagraph").
Körperverletzung:
Der Gesetzgeber unterscheidet in
- (Vorsätzliche) Körperverletzung: Die vorübergehende Beeinträchtigung der Unversehrtheit.
Schwere Körperverletzung: Die dauerhafte Beeinträchtigung z.b. eine Zufügung einer Behinderung.
Gefährliche Körperverletzung: Diese Körperverletzung. gilt in Verbindung mit gefährlichen Gegenständen oder Waffen. Hierzu zählt auch der ausgebildete Kampfsportler. Diese Körperverletzung gilt auch im engen Verwandtschaftsgrad. - Tötungsdelikte bis hin zum Mord.
Der Gesetzgeber gab dem Bürger Rechte, die jedermann ausüben darf. Hierzu gehört das Notwehrrecht genauso, wie des Recht jemanden vorläufig festnehmen zu können (StPO). Ich darf unter folgenden Voraussetzungen jemanden festnehmen:
- Wenn ich eindeutig weiß, dass er eine Straftat begangen hat.
- Ich ihn auf frischer Tat ertappe.
- Er seine Identität nicht offen legen kann.
- Tötungsdelikte bis hin zum Mord.
- Wenn Gefahr im Verzug besteht.
Wenn ich aber aufgrund einer Notwehrsituation jemanden vorläufig festnehme, fessle, kneble und in die Besenkammer sperre, bekomme ich sehr wahrscheinlich einen Brief von seinem Anwalt wegen Nötigung und Freiheitsberaubung. Aber auch hier wird es einen Staatsanwalt oder Richter geben, der darüber urteilt.
Liegt der böse Bube nun am Boden, muss ich eines beachten: Ich sollte einen Notruf absetzten. Ich besorge ihm medizinische Versorgung. Ferner suche ich Augenzeugen, die zu meinen Gunsten aussagen.
Nur darf ich eines nicht: Ich gefährde mich nicht selbst! Ich bewege mich so schnell wie möglich aus der Gefahrenzone. Ich setze einen Notruf ab, um für mich Hilfe zu holen, das ist die Polizei. Ich setzte aber auch einen Notruf ab, um mich selbst vor schweren Rechtsfolgen zu schützen: Das ist der Notarzt.